Die heutige Route im Überblick ...
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Es ist gerade einmal 6 Uhr, als wir auf dem brüstungslosen Balkon sitzen und die fortwährende Kraft des
Wassers beobachten.
Es ist schon faszinierend und fesselnd zugleich. Unmöglich diesen Moment in Worte zu fassen.
Respekt verschafft mir nicht nur der tosende Indus, sondern auch die Dusche.
Die Nacht war warm und eine Dusche wäre eigentlich nötig. Doch sitzt direkt schräg unter dem
Duschkopf eine Steckdose. Letztere ist so angebracht, dass man auch noch das Innenleben sieht.
Doch zum ersten Mal auf unserer Reise durch Ladakh bin ich froh, dass es am Morgen immer noch keinen Strom gibt.
Deshalb steht dem Duschen trotz der sonderbaren offenen Steckdose nichts entgegen.
Und abgesehen von dem lauwarmen Wasser tut diese Erfrischung gut.
Im Frühstücksraum sitzt nur noch die Motorradgruppe. Alle anderen sind schon ausgeflogen.
Es gibt wie fast überall Omelett, Toast mit dieser unbeschreiblich leckeren Aprikosenmarmelade
und Müsli. Unsere Begeisterung für den Aprikosengeschmack fällt offensichtlich auch dem Hausherrn auf.
Er bringt uns eine Kanne voller Aprikosensaft. Auch der ist super lecker.
Schließlich sind wir in der Gegend, wo all die leckeren Aprikosen wachsen.
Die Bauern hier können dank des Klimas sogar zwei Mal im Jahr ernten. Aus dieser Gegend
kommen nicht nur Aprikosen sondern auch die Walnüsse.
Die Route für den Tag im Überblick:
Gefahrene Strecke: etwa 175 Kilometer
Fast pünktlich 9 Uhr verlassen wir Dah-Beamah.
Der Rückweg bis Khaltse gleicht dem gestrigen Anreiseweg. Es gibt eben nur diese eine Straße
die in das Aryan Valley führt. Genau genommen sind wir in diesem Tal
"gefangen".
Das Wort gefangen wird im Ort Achinathang dann wortwörtlich.
Schon unterwegs ruft ein Fahrer eines entgegenkommenden Autos etwas zu. Das klingt
vom Tonfall nicht gerade wie eine nette Begrüßung.
Nazir schaut schlagartig besorgt und konzentriert aus. Doch er sagt uns nichts.
Im nächsten Ort bleiben wir stehen und er spricht mit einem entgegenkommenden Fahrer.
Normalerweise kennen sich die Fahrer und grüßen sich während der Fahrt. Aber dazu sind wir noch
nie stehengeblieben. Es scheint also etwas passiert zu sein. Doch was?
Wir hören einem längeren Gespräch zu. Doch leider verstehen wir gar nichts.
Was sonst.
Erst auf mein Drängen, erfahren wir, dass die weiterführende
Straße seit heute früh um 5 Uhr nicht mehr passierbar ist.
Hm. Und was nun?
Nazir fährt so weit wie möglich und vorbei an allen anderen Autos die sich artig entlang der
Straßenmauer angestellt haben, an den Ort des Geschehens. Jedenfalls denke ich das.
Zuerst sehe ich, die ja in der ersten Reihe sitzt, eine teils überflutete Straße
und denke noch dabei: Was soll's, ist ja nicht schlimmer, als über den Pentacost River zu fahren.
Ich verstehe die Aufregung nicht. Trauen die sich alle nicht über eine Straße zu fahren, die etwa
fünf Zentimeter überflutet ist? Es ist ja kein reißender Strom.
Und erst beim zweiten Blick sehe ich rechterhand, auf der anderen Seite das Desaster.
Halleluja!
Während wir im Auto sitzen bleiben, holt unser Fahrer die Informationen ein.
All die Umstehenden und natürlich auch Nazir telefonieren.
Wir erfahren, dass es nur etwa eine oder anderthalb Stunden dauern soll, bis die Straße repariert wird.
"Niemals!" - da sind Rainer und ich uns einig, da hier in der Gegend keinerlei schweres Gerät vorhanden ist.
Aber wir haben eh keine Wahl und beobachten das Geschehen.
Überwiegend Frauen sind unterwegs.
Und die sind solche Ereignisse vermutlich gewöhnt und lassen sich nicht irritieren:
Und dann gibt es die Zuschauer am Rande des Geschehens:
Nach einer halben Stunde kommt ein Lastauto von der anderen Seite. Eine ganze Lade
voller Steine wird auf die abgesackte Stelle geschüttet. Doch das reicht bei Weitem nicht!
Von unserer Seite kommt ein zusätzlicher Kipper.
Etwa 15 Menschen arbeiten fleißig mit ihren blanken Händen und versuchen den verzweigten Flusslauf umzulenken.
Das wirkt für mich wie in einem Boot mit 100 Löchern jedoch mit nur 10 Korken sitzend.
Schildbürger lassen grüßen.
Auch ein paar "Aufpasser" sind dabei
Nun meldet sich auch Nico, der Camp Betreiber bei mir. Er klingt ziemlich beunruhigt
und er entschuldigt sich für das, was uns gerade passiert.
Er fragt nach unserem Wohlbefinden und macht sich Sorgen. Auch werden wir wohl den nächsten
Tagesordnungspunkt, das Lunch im Nimmu House verpassen. Selbstverständlich wird er sich sofort auf die Suche machen,
um einen Ausweichort für ein Lunch zu finden.
Ich nehme ihm die Sorge.
Uns geht es gut. Und normalerweise essen wir eh nur Frühstück und
Abendbrot. Lunch ist uns total unwichtig.
Und was wir hier erleben, ist doch ein echtes Adventure. Ein ganz ungeplantes.
Das Warten und Zuschauen aus der Ferne ist langweilig.
Während ich also die Stellung halte - und etwas am Reisebericht schreibe - macht sich Rainer auf den Weg zum Ort des Geschehens.
Dann kommt Nazir mit den neuesten Infos: "Es wird wohl doch etwa 4 bis 5 Stunden dauern, bis die
Straße passierbar sein wird."
Er ist etwas unsicher und fragt, ob wir nicht doch den langen Umweg nehmen sollten.
Denn es gibt tatsächlich eine andere, alte und schlechtere Straße.
Doch die ist statt 50 Kilometer 150 Kilometer lang.
Mir ist es grundsätzlich egal. Aber 100 Kilometer Umweg auf einer schlechten Straße sind etwa vier bis fünf Stunden
körperliche und akustische Dauerbelastung.
Deshalb entscheide ich für uns beide. Und zwar gegen diesen Umweg.
Und sollte es dann noch länger dauern, dann übernachten wir eben nochmals in Beamah. Das Hotel war ja ganz nett.
Nun da die Entscheidung zum Warten gefällt ist, will ich es auch wissen und überquere erst die überschwemmte Straße
- das eiskalte Gletscherwasser tut einfach den Füßen gut - und schaue den Arbeiten aus der Nähe zu.
Es ist schon interessant, dass in so kurzer Zeit so viele Arbeiter und Helfer versuchen
gegen die Kraft der Natur anzukämpfen. Ich denke in Deutschland wäre diese Straße für viele
Monate gesperrt. Wenn nicht gar über Jahre.
Wieder sammeln Männer mit blanken Händen Steine und werfen sie auf den Kipper.
Währenddessen helfen auch die Fahrer, die mit ihren Touristen auf die Durchfahrt warten, mit. Auch Nazir.
Und endlich habe ich die Möglichkeit mir ein ganz besonderes Werkzeug anzuschauen:
Es ist diese Schippe, an deren Ende ein Seit befestigt ist. Am Ende des Seils zieht ein anderer Arbeiter
und erleichtert die Arbeit.
So etwas habe ich hier in Ladakh zum ersten Mal gesehen.
Arbeiten mit primitivsten Mitteln:
Es ist ja nicht so, dass der andere Teil der Straße in Ordnung wäre... 🙄
Inzwischen haben Straßenarbeiter - wieder mit ihren bloßen Händen - Steine aus dem
Flussbett in den Kipper geladen. Halbvoll soll die Ladung abgekippt werden. Doch während er wendet
bleibt er im Modder stecken! Und das sieht nicht gut aus. Nach vielen Versuchen arbeitet er
sich immer tiefer und gibt auf.
Mir tut's um die Arbeit der Männer leid. Völlig umsonst!
Nun passiert etwas, was mir echt Angst macht.
Ein riesiger, etwa ein dreiviertel Meter großer Stein wird aus der Wand gehackt.
Hat denn hier niemand Angst, dass es einen erneuten Erdrutsch geben könnte?
Tatsächlich passiert nichts. Der Stein bildet eine Verbreiterung und der Sand, der dann noch runterkommt wird verteilt und irgendwie fest getreten.
So schnell kann man nicht gucken, wie das erste Auto die "neue Straße" testet. Das
bleibt erst einmal stecken. Aber wie immer helfen alle mit, um es aus der Misere zu befreien.
Und dann schon fährt das zweite und dritte Auto durch. Es gibt nun kein Halten mehr.
Nazir holt fix unser Auto, das auf der anderen Seite steht. Während wir zu Fuß die für deutsche Verhältnisse unbefahrbare Stelle überqueren, meistert Nazir ganz souverän die Überfahrt.
Dieses Geschehnis bewegt uns beide auch noch auf der weiteren Fahrt.
Es bleiben so viele Fragen unbeantwortet.
Die weitere Fahrt ist verglichen mit dem eben Erlebten vollkommen ereignislos.
Die Landschaft ist nach wie vor grandios und die Berge Richtung Westen schneebedeckt.
Fotostopps gibt es nur wenige. Schließlich sind wir gestern schon die Strecke in die andere Richtung gefahren.
Nico ruft wieder an und fragt, wie es uns geht. Wir waren doch in keinem Moment
in Gefahr 🤔
Das Lunch im Nimmo House ist endgültig abgesagt.
Aber wir versprechen ihm, dass wir trotzdem vorbeifahren und einen Tee trinken.
Denn was Nico nicht weiß ist, dass wir noch auf unserer Strecke einen kleinen
Abstecher machen. Das haben wir schon heute früh mit Nazir so abgesprochen.
Mit Nazir als unseren Fahrer haben wir echt Glück. Abgesehen davon, dass seine Fahrweise
sehr gut ist, sind unsere Sonderwünsche für ihn niemals ein Problem. Es scheint so,
als ob er das sogar gern macht. Vermutlich fährt er nur die sehr touristischen
Strecken. Mit uns jedoch besucht er Orte, die er vorher selbst noch nie besucht hat.
So auch Tingmosgang.
Der Ort Tingmosgang befindet sich knapp 90 Kilometer westlich von Leh und nur wenige Kilometer nördlich der
Leh-Srinagar Road. Die Einheimischen nennen den Ort Temisgang.
Er gehört zu den wohlhabenden Orten in Ladakh. Die umliegenden Berge versorgen das Land stetig mit genügend Wasser,
so dass allseits gute Obst-Ernten zu guten Erträgen führen. Obstbäume und terrassenförmige
Getreidefelder sind die Haupteinnahmequelle.
Seit jeher gibt es gute Schulen im Ort. Und viele Staatsbedienstete stammen aus Tingmosgang.
Das zu den Fakten.
Entlang der Straße sehen wir Häuser, die fast schon wohlhabend aussehen. Verputzt, wie wir es kennen, umringt von großen Gärten. Tingmosgang liegt wie in einem Kessel umschlossen von steilen und hohen Bergen.
Die Palastanlage und das Kloster befinden sich hoch oben auf dem Berg. Unsere Fahrt nach oben gibt unglaubliche Blicke frei.
Oben angekommen wirkt Timosgang sehr winzig.
Die serpetinenartige Straße, die wir hochgekommen sind, ist nicht in voller Länge sichtbar.
Denn sie windet sich um den Berg.
Und natürlich ist für die autolosen Liebhaber ein unendlich wirkender Treppenaufgang vorhanden und durchgehend im gut benutzbaren Zustand.
Das Klosterinnere der Tseskarmo Gompa selbst besuchen wir nicht.
Allerdings wirkt das Gebäude sehr gut erhalten. Und die hier eingesetzten Farben
sehen sehr schrill aus.
Wir umrunden es und nutzen diese hochgelegene Ebene, um einen Überblick über die bizarre Landschaft zu bekommen.
Und die Lage gefällt uns sehr gut!
Die Straße führt über Schukpachen nach Likir. Sicherlich eine landschaftlich interessante Strecke.
Für die Weiterfahrt nimmt Nazir eine andere Straße. Vorbei am Nonnenkloster.
Es wohnen etwa 20 Nonnen hier. Sie alle sind Selbstversorger. Deshalb gibt es im
Innenhof einen Garten, den wir von oben kommend sehen können.
Die angeschlossene Nonnenschule ist wohl bekannt für ein hohes Bildungsniveau. Die Nonnen sprechen sogar englisch.
Am Ausgang von Timosgang steht eine Nonne und will mitgenommen werden.
Wie immer sind wir auch interessiert daran. Auch vor dem Hintergrund, dass
sie möglicherweise englisch spricht und wir eine interessante Reise haben werden.
Doch "unsere" Nonne spricht kein Wort Englisch.
Sie ist so klein und zierlich und 87 Jahre alt. Das ist alles was wir erfahren dürfen.
Vermutlich ist sie auch sonst nur sehr selten mit dem Auto unterwegs. Denn es scheint,
dass sie nicht ganz angstfrei ist.
Obwohl Nazir nun wirklich ein vorsichtiger Fahrer ist, betet sie bei jeder Kurve,
und davon haben wir auf diesem Streckenabschnitt sehr viele.
Das Om Mani Pedme Hum.
Als wir den Ort Nimmu erreichen, trennt sich auch die Nonnen von uns.
Wir fahren noch etwas weiter bis zum
Nimmu House.
Ein Restaurant und eine Hotel zugleich, das
Zimmer und Zelte anbietet.
Das Nimmu House liegt vollkommen versteckt. Nazir setzt uns ab und geht zu Fuß
ins Dorf. Er hat Hunger. Wir wollen ihn zwar mitnehmen, aber er lehnt ab.
Die Sprachbarriere ist echt ein Problem.
Was man von hinten sieht, ist eher nicht so einladend. Ein Kuhstall und irgendwelche
für unser Verständnis runtergekommene Mauern ist das erste, was man sieht. Das Haus im
Hintergrund sieht schon besser aus. Rainer geht über den angrenzenden Garten und ich durch die Lobby.
Und die sieht - vollkommen überraschend - sehr gut aus.
Weiter geht es nur über die Treppen nach unten - und warum bitte bin ich diese erst hochgegangen?
Schade um meine Kraft.
Der Garten sieht traumhaft aus. Anders kann man das nicht sagen.
Wir nehmen Platz in herrlich bequemen Stühlen. Hier weiß man sofort, wer wir sind und
man lässt sich erzählen, was passiert ist.
Wir bestellen einen riesigen Pott Schwarztee. Rainer nimmt einen Brownie und ich eine
Schüssel Obstsalat. Der erste während unserem Urlaub. Es macht hier alles einen sehr
westlichen und sauberen Eindruck. Deshalb traue ich mich das.
Der Tee und der frisch zubereitete und kühle Salat tun so gut.
Dann kommt der Hausherr und auch er will wissen, was passiert ist. Er unterhält uns noch ein wenig
bevor er uns alleine lässt. Prima. Ein wunderbarer Ort um inne zu halten.
Und bei diesem Anblick fühlen wir uns beide schon wie zu Hause angekommen.
Die Spituk Gompa ist nach dieser langen Reise wie ein Meilenstein. Von hier dauert es
eine knappe Viertelstunde bis zum Ziel.
Halb Vier erreichen wir das Indus River Camp.
Wie immer nach einer Reise, fragt uns jeder, wie es war.
Dann geht es in unser Cottage. Wir wollten einfach nicht mehr im Zelt schlafen.
Das Cottage ist traumhaft. Die Aussicht auf die Berge, die teils schneebedeckt sind,
unbeschreiblich.
Mich hält nix mehr. Ich brauche jetzt eine ordentliche warme Dusche.
Währenddessen geht Rainer noch im Indus baden.
Ein wunderbarer Nachmittag.
Erst gehen wir noch zum Haupthaus etwas Tee trinken und entspannen dann im Bett mit dem
besten Ausblick der Welt.
Ausblick aus der Dusche
Am frühen Abend verwöhnt uns wieder der Himmel mit seinen schönen Farben.
Wir sitzen auf der Veranda und können nicht genug bekommen von diesem Ort.
Es war eine gute Entscheidung die Zeltübernachtung gegen eine Übernachtung im Cottage einzutauschen.
Unsere Hosts haben sich für heute Abend etwas ganz Besonderes ausgedacht:
Alle Gäste sitzen gemeinsam an einem Tisch. Eine echt hervorragende Idee.
So lernt man auch andere Gäste kennen. Und wie sich herausstellt, sind wir ein ziemlich international
zusammengewürfelter Haufen. Jeder hat eine tolle Geschichte zu erzählen.
Das Pärchen aus Singapore, die Inder die in Hongkong leben, hochnäsige Investment-Bänker aus
London. Auch ist ein Typ aus NYC, der gerade mit seinem Freund in Frankfurt lebt,
aber kein Wort Deutsch kann. Es ist ein wirklich netter und kurzweiliger Abend!