Schwerer als gedacht
Wieder ist es Zehn vor Neun, als wir am Haupthaus zum Ausgang stehen.
Wir checken aus.
Zwei Nächte sind einfach zu wenig für diese Gegend. Ich hoffe ja
auf ein nächstes Mal mit wesentlich mehr Zeit. Beim Auschecken drückt der
Besitzer Rainer zwei Stück Apfelstrudel in einem Doggy-bag in die Hand. Als Wegzehrung sozusagen. Na und Kaffee
für die Fahrt muss auch noch mit.
Schön war's. Die Hideaway Cabin war uns ein schöner Ort zum Übernachten.
Unser nächstes Ziel ist Vancorum. Das kennt niemand. Auch nicht der Lodgebesitzer.
Noch nie hat er von diesem Ort gehört. Auch nicht von Naturita oder Nucla. Aber anhand der Postleitzahl
erkennt er, dass es ganz im Westen Colorados sein müsste. Nahe der Grenze zu Utah.
Ja tatsächlich sind diese Orte auf der anderen Seite des San Juan National Forests.
Es gibt - wie so oft mehrere Wege dorthin. Die schnellste Verbindung führt über Durango.
256 Meilen in 4:43 Stunden - meint Google.
Unsere Tour soll nur 189 Meilen lang sein. Für diesen Weg veranschlagt Google 5:40 Stunden.
Ob das wohl stimmt?
Zugegeben habe ich nach dem Desaster am gestrigen Tag etwas Bedenken, dass so etwas nochmals
passieren könnte. Aber Rainer winkt ab. Er benutzt jetzt einfach nicht mehr die elektrische Parkbremse.
Aber bin ich nicht ganz so entspannt, weil ich schon jetzt weiß, dass wir unterwegs kein Netz haben werden
und es nach dem Cinnamon Pass viele Wege zur US-550 N gibt. Einige sind wohl momentan in extremem
Zustand. Wir fahren zwar mit einem geeigneten Auto, aber letztendlich
ist der Tahoe kein ATV oder so. Aber mein Fahrer meint er sei bestens vorbereitet und hat die
optimale Streckenführung im Sinn.
Das Einzige, was mir Vertrauen und etwas Gelassenheit bringt,
sind Rainers Fahrkünste, auf die ich mich immer verlassen kann. Los geht's also!
Wieder fahren wir die Co-145 N bis Creede.
Hier tanken wir unser Auto für 4,49 US$ pro Gallone voll.
Wie gestern Nachmittag schon, klaut uns der Stopp an der Baustelle wertvolle Zeit.
Am Viewpoint in der Weminuche Wilderness bleiben wir stehen.
Das muss jedes Mal sein.
Ich liebe diesen Ausblick. Ein Wildnis Gebiet mit vielen Seen, das auf meiner Merkliste steht.
Es geht gut voran. Die Straße ist im guten Zustand und es ist nicht viel los.
Der Silverthread Byway
ist dennoch immer eine Augenweide.
Am Slumgullion Pass, zwischen Creede und Lake City, erreichen wir eine Höhe von etwas über 3.500 Metern. Bei guter Sicht, wie wir sie heute haben, sieht man viele weitere 14-Tausender dicht gedrängt nebeneinander stehen:
Danach geht es wieder bergab. Vorbei an den gelb und rot getönten Berghängen.
Es geht sehr kurvenreich mit recht starkem Gefälle bergab.
Den Viewpoint, auf den wunderschönen Lake Cristobal von oben, lassen wir aus Zeitgründen links liegen. Das 2018 aufgenommene Foto kommt hier dennoch rein, um zu zeigen wie idyllisch der See liegt.
Damals waren wir auf dem Weg zum Engineers Pass,
unserem ersten Teil des Alpine Loops. Heute planen wir den Loop zu schließen.
Das hatten wir zwar schon 2018 ins Auge gefasst. Doch uns wurde damals dieses Vorhaben wegen einer
hohen Stufe auf dem Weg zwischen dem Engineers und dem Cinnamon Pass abgeraten.
Heute folgt also Versuch Nummer zwei.
# Cinnamon Pass - Lake Cristobal nach Silverton
Die Zufahrt zum Lake Cristobal befindet sich südlich des Ortes Lake City. Es ist gleichzeitig auch der Zugang zum Cinnamon Pass. Hier beginnt er sozusagen.
Die Bezeichnung "Alpine Loop National Backcountry Byway" erhielt der Rundweg erst im September 1989. Die etwa 65 Meilen, also rund 105 Kilometer, verbinden den Lake Cristobal südlich von Lake City im Osten mit Silverton und Ouray im Westen. Es war einer der ersten Backcountry Byways, die sich von den Scenic Byways auf landschaftlich schönen aber asphaltierten Straßen unterscheiden. Der Alpine Loop öffnet etwa Ende Mai/Anfang Juni und schließt Ende Oktober.
Entlang der zwei Pässe gibt es Überbleibsel einstiger Minen (Minen sind allerdings gesperrt) und deren Wohnstädten zu sehen. Passüberquerungen, einzigartige Ausblicke auf nah gelegene 14-Tausender und viel Fahrspaß auf unbefestigten Straßen.
Einst bewohnte der Ute-Indianerstamm dieses Gebiet. Lange bevor sie in den 1800er Jahren
durch Bergleute, auf der Suche nach Silber, Gold, Blei und Zink, vertrieben wurden.
Letztere schufen ein Straßennetz durch dieses zerklüftete Gelände, um Erz und Vorräte
mit Maultierwagen von und nach Silverton, Ouray und Lake City zu transportieren.
Das zur Geschichte.
Ein Foto - auch fürs Protokoll - damit wir die Startzeit festhalten.
Es ist genau halb Elf.
Zuerst geht's auf unbefestigter, gut präparierter Straße, entlang des Lake Cristobal.
Was man wissen sollte, es ist ein natürlich entstandener See, der bei einem Erdrutsch
vor etwa 700Jahren entstanden ist. Mit einer Länge von über zwei Meilen ist er der
zweitgrößte natürliche See in Colorado.
Der weitere Weg beschränkt sich auf eine "typisch Colorado"- Umgebung. Viel Grün.
Begleitet vom malerischen Bächlein namens Lake Fork. Die Hinsdale County Road 30 entpuppt sich hier
als sehr gut befahrbar. Das könnte man sogar mit einem PKW fahren.
So jedenfalls geht es bis Sherman.
Unterwegs gibt es noch einige Campingplätze und Mini-Resorts. Und ich versuche mir vorzustellen,
wie es wäre auch mal hier Urlaub zu machen. Natürlich mit etwas Zeit und nicht nur für eine Nacht.
Hinter Sherman steigt die Straße stetig an. Manchmal gibt es breite Rillen.
Manchmal muss man auch fiesen, spitzen Steinen ausweichen.
"Bitte bloß keinen Reifenplatzer! Hast Du kontrolliert in welchem Zustand der Ersatzreifen ist?"
"Nö. Sollte ich das? Ich weiß gar nicht, ob hier ein Ersatzreifen im Auto ist."
"Oh neee! Was bist Du für ein Fahrer!?"
"Na wollen wir jetzt stehen bleiben und gucken?"
"Nein. Ich will das jetzt gar nicht wissen 😣 "
11.10Uhr erreichen wir den Sherman Townside Overlook. Unser erster Stopp.
Eine Gruppe mit Quads beendet gerade ihren Stopp. So sind wir kurze Zeit später allein
mit der Natur und dem Blick in die tiefe Cataract Gulch (Bergschlucht).
Es geht im großen Bogen um den nächsten 13.Tausender. Dem Whitecross Mountain.
Der gilt mit 4.128 Metern Höhe nicht mehr zu den ganz großen, den 14-Tausendern.
Was hier von der Road eh nicht abschätzbar ist. Dieses Areal nennt sich Burrows Park,
eine weitere, ehemalige Bergbaugegend, die Mitte der 1870er Jahre
ihren Höhepunkt erlebte. Etwa 30 Minen sorgten dafür, dass in den Sommermonaten
um die 200 Menschen hier lebten. In den Wintermonaten war es hier allerdings wegen
der hohen Lage unbewohnbar und meist verlassen.
Schlechte Straßen, abgelegene Lage und die Höhe um die 3.200 bis 3.300 Metern Höhe
sowie begrenztes Erz trugen dann aber dazu bei, dass alle Bergbaulager schließen mussten.
Ich finde die Geschichte so interessant. Hier auf den langen Graswiesen, auf denen wir bequem aus unseren voll gepamperten SUV's die Landschaft fotografieren, haben Menschen unter sicherlich unwürdigen Bedingungen gelebt und geschuftet. Das Ganze ist keine hundert Jahre vor meiner Geburt passiert. Es wirkt gar nicht so lange her. Und doch unvorstellbar.
Viertel nach Zwölf erreichen wir eine Spitzkehre.
Eine echte Spitzkehre mit einem Innenwinkel von etwa 20°!
Wenige Meter zuvor geht die CO-12 gen Süden zum American Basin ab. Mit Ihr verlässt uns der flache
Bach, Lake Fork, der uns seit dem Lake Cristobal begleitet hat. Dieses "Flüßlein" ist hier oben noch so nichtssagend klein.
Es hat interessanterweise hier am Handies Peak seinen Ursprung und fließt etwa 104 Kilometer bis er zusammen mit dem
Gunnison River das künstlich angelegte Blue Mesa Reservoir speist.
Vom Schild am Beginn des Cinnamon Passes, sind gerade einmal 16 Meilen geschafft
für die wir anderthalb Stunden gebraucht haben. Die Spitzkehre entpuppt sich zu einem echten Problem.
Es ist nicht der enge Winkel, sondern die extreme Steigung nach der Kehre zusammen mit einer tiefen, diagonal über
den Weg verlaufenden Rinne.
Die Reifen rutschen. Rainer wirkt angespannt und ich würde am liebsten aussteigen,
um das Gewicht des Autos zu reduzieren. Schließlich haben wir hinten unser gesamtes
Gepäck drin. Die Gefahr ist groß, dass wir aufsetzen und festsitzen.
Auf Rainers Fahrkünste kann ich mich immer verlassen - das habe ich schon geschrieben -
aber als er nach dem dritten versucht sagt:
"Wir schaffen es nicht. Wir müssen zurück"
Das schockt mich - hätte ich nie erwartet, das zu hören!
Abgesehen davon, dass mir sofort durch den Kopf geht, dass wir dann wohl erst nachts das nächste Ziel erreichen,
habe ich Aufgeben bei Rainer noch nie erlebt. Nicht wenn es ums Autofahren geht.
Logisch dann meine Antwort:
"Das meinst Du doch nicht ernst? Kommt nicht in Frage. Zur Not schiebe ich (🥴)"
Hm. Mein Entsetzen hat wohl gewirkt.
Wir schaffen das. Und zwar mit einem kurzzeitigen Aufsetzer.
Übrigens werden es sieben Aufsetzer auf dieser Strecke.
Als wir weiterfahren höre und sehe ich eine Ebene tiefer zwei ATV's vor sich herknattern. Es ist ein leichtes Spiel für sie, uns zu überholen. Nicht nur dass wir einen Mietwagen haben, wir wollen den auch noch länger fahren.
Und dann knattert ein orangener Subaru an uns vorbei. Ich glaube ein Impreza.
Ich weiß es nicht genau. Ich sag's mal ganz vorsichtig: Er überholt uns mit einer
für diesen Straßenzustand unangemessenen Geschwindigkeit.
Wir gucken uns an und fragen uns, wie er dort an der kritischen Spitzkehre herum gekommen
ist. Seine Bodenfreiheit ist doch deutlich geringer als die unsere.
Wir sind immer noch Team Vorsicht.
Was bekanntermaßen nicht immer das schlechteste ist - wie sich bald erweisen wird.
Hier schon mal mein schadenfroher (Aus)-Lacher 😂
Die letzten entspannten Impressionen bevor es wirklich kritisch wird:
Die letzte Kehre ist zwar wieder recht steil, aber ohne Rinne.
Ein ATV vor uns hat sich festgefahren in einer längs fortlaufenden Rinne. Genau genommen sind es zwei Rinnen. Eher Gräben.
Schon beim Anblick, in welcher Neigung das Gefährt steht, fällt mir nur noch dieser Smiley 😱 ein.
Die Passagiere des anderen
ATV helfen ihm raus und schieben ihn nach hinten.
Während wir kombinieren, wie wir mit unserem eher klobigen und trägen Auto hier rüber kommen sollen,
schießt der orangene Subaru vor. Verrückt!
Wirkt sehr forsch und unüberlegt.
Das Ergebnis ist auch gleich zu hören und zu sehen. Es gibt ein paar typische Geräusche und dann katapultiert ein Teil der
völlig überdehnten, gequetschten und völlig überbeanspruchten Stoßstange um einem Meter nach vorn.
Der Subaru hängt fest und ist auf der höchsten Stelle der Wölbung "aufgebockt".
Oh Mann!
Jetzt bin ich schon am Zweifeln, ob wir nicht doch schon vorhin hätten wenden sollen.
Vier Autos stehen da und versuchen das scheinbare Unüberwindbare zu meistern.
Dann sehe ich einen Weg hier durchzukommen!
"Wir benötigen für meine Variante etwa einen Meter mehr als die Straße breit ist.
Da ist eine Wiese. Und andere haben es vermutlich auch schon auf diese Weise geschafft. Da
sind nämlich Reifenspuren".
Ich steige aus, hocke mich etwa anderthalb Meter vor das Auto und Rainer balanciert es
millimetergenau und in Zeitlupe über die erste Rinne. Erst hängt das hintere, rechte Rad in
der Luft und beim Schleichen über die zweite Rinne dann das vordere an der Beifahrerseite.
Und das Ganze locker 40 bis 50 Zentimeter über den Boden.
Ich springe in letzter Minute weg, um nicht überfahren zu werden, als Rainer dann
beherzt aufs Gaspedal tritt und einen Schlenker über die Wiese macht.
Wir haben es als Team geschafft!
Schade, dass ich das nicht fest gehalten habe. Aber da heil durchzukommen, war mir
in diesem Moment wesentlich wichtiger. Ich steige ein und wir fahren weiter.
Fast oben, den Pass erreicht, blicke ich nach hinten.
Doch was auf der Aufnahme völlig entspannt aussieht, ist schwieriger als gedacht.
Die zwei ATV's stehen immer noch da und der Subaru hängt in der nächsten Senke fest.
Natürlich gibt es erst einmal ein Selfie mit zwei Überglücklichen den Pass
ohne Blessuren für den Tahoe erreicht zu haben.
Von der anderen Seite, also
aus Richtung Silverton oder Ouray, erreicht ein Motorrad den Pass und fährt ohne stehen zu bleiben
gleich weiter. Von "unserer" Seite
kommt niemand.
Wir genießen den Moment der Ruhe in dieser Natur.
Wir sind nicht enttäuscht den Cinnamon gefahren zu sein. Doch der vom Engineers Pass und Odom Point gefiel uns wesentlich besser. Man sieht unzählige imposant wirkende Landschaften und viele 14 Tausender. Dafür hatten wir hier fahrtechnisch eine echte Herausforderung. Jetzt kann es nur noch besser werden. Denken wir.
Der fortführende Weg, der ab dem Pass CO Rd 5 heißt, ist von der Beschaffenheit nicht wirklich gut.
Teilweise ist er schmal aber immer voller spitzer Steine. Nicht gut für die Reifen.
Je näher wir uns den Animas Forks nähern, desto betriebsamer wird es. Gleich mehrere Gruppen
knattern mit ihren ATV's den Weg nach oben.
Himmlische Ruhe - Fehlanzeige.
13.15 Uhr erreichen wir Animas Forks. Von der ersten Aufregung an der
Spitzkehre bis hier haben wir also eine Stunde gebraucht. Davon abgesehen, dass
uns das viel länger vorkommt, ist dieser Abschnitt gerade einmal 7.5 Kilometer lang.
Bis Vancorum, unserem nächsten Ziel, sind es noch schätzungsweise einhundert Meilen.
Und wir haben noch keine befestigte Straße erreicht.
Deshalb lassen wir die Besichtigung des einstigen Bergbaudorfes am Animas Fork aus.
Dazu ist die nötige Ruhe nicht vorhanden.
Also rumpeln wir weiter und lassen uns durchschütteln.
Ich bin echt froh, als wir Eureka erreichen. Ab hier ist die Straße zwar immer noch voller spitzer Steine aber wenigstens auf waagerechter Ebene. Das Schütteln und Rumpeln nervt auf Dauer.
Rechterhand passieren wir die ehemalige Mine Eureka.
Wie schon am Animas Fork, haben wir Null Sinn für Neuentdeckungen.
Nach 3:45 Std erreichen wir das Ende der Überfahrt vom Lake Cristobal bis Silverton über den Cinnamon Pass. Anderthalb Stunden mehr als bei Google anzeigt.
Kurz vor Silverton beginnt es zu regnen.
Endlich haben wir auch wieder Verbindung zur Welt.
Unser nächstes Ziel ist eingegeben.
Noch 98 Meilen und eine geschätzte Fahrzeit von 2 Stunden 20.
Silverton... Na ja. Wäre ich zum ersten Mal in einem solchen Städtchen, wäre ich vielleicht begeistert gewesen.
Ich stelle mir vor, der Himmel wäre postkartentauglich. Nein der Funke springt trotzdem nicht über.
Eher fühle ich mich in die Hollywood-Studios versetzt. Ist das echt? Oder doch nur Pappmaché?
Alles wirkt so inszeniert und für Touristen aufgehübscht. Mag aber auch daran liegen,
dass Lidville mein erstes Bergbau-Dörfchen war. Und nun muss eins kommen, das schöner ist.
Eigentlich soll es hier einen Safeway geben. Wir brauchen noch Grillfleisch. So hatte ich es vor der Tour rausgesucht. Aber in Silverton gibt es keinen Safeway. Also hoffen wir auf Ouray, dass wir dort Fleisch kaufen können.
# Million Dollar Highway
In Silverton beginnt der Million Dollar Highway. Den wollte ich schon
immer fahren. Wegen der Laubfärbung aber im Herbst.
Jetzt haben wir Anfang August.
Und auch ohne Laubfärbung ist das, was man so aus dem Auto während der Fahrt sehen kann, sensationell.
Und das bei dem verregneten Himmel.
Vor uns fährt ein Pickup. Eine ganze Weile.
Ein schöner Größenvergleich.
Trotz des trüben Wetters, oder eben drum - wer weiß das schon - sehen Teile der offenen Felsen
fast golden aus. Was hier auf meinem Schnappschuss gar nicht zu erkennen ist.
Eine ausgesprochen tolle Straße.
Kommt auf die "Möchte-dorthin-Liste" für eine Reise mit mehr Zeit.
Der Non-Plus-Ultra ViewPoint ist eine Tasche am Rand der CO-550.
Gut besucht ist er. Aber da jeder nur recht kurz bleibt, findet sich immer
ein freier Platz.
Hier wäre jetzt Sonne gut. Oder wenigsten ein wenig mehr Beleuchtung.
Unser Auto sieht etwas sandig aus.
So ein schöner Landregen wäre jetzt nicht schlecht.
Ouray - das Ende des Million Dollar Highways.
Schön "nestled" wie man oft in Reiseführern liest. Aber eben eine
Touristen-Hochburg.
Erst gehen wir auf die Suche nach Fleischläden. Oder einem Laden der qualitativ gute Ware anbietet.
Wir finden tatsächlich etwas. Aber die Auswahl ist eingeschränkt. Vielleicht hängt es auch
mit der späten Stunde zusammen. Denn mittlerweile ist es Viertel nach Drei.
Die Zeit rennt viel zu schnell.
Bisher haben wir uns auch noch keine Zeit genommen zu essen.
Die Gold Belt Bar & Grill macht einen netten Eindruck. Eine herrlich große
Terrasse vor dem Haupthaus und eine in der zweiten Etage laden wirklich zum Verweilen ein.
Na wenigstens hätten wir gern einen Kaffee. Also warten und warten und warten wir.
Doch die Bedienung hat mit dem Ausliefern der fertigen Gerichte zu tun.
Für Bestellungen hat niemand Zeit. Noch nicht einmal ein Wasser haben wir bekommen.
Oh neee. Wenn dann das Essen auch so lange dauert, dann kommen wie nie an!
Also stehen wir auf und gehen. Merkt keiner.
Ridgeway ist der nächste und letzte größere Ort auf unserer Strecke.
Irgendwie gelingt es uns nicht, ein vernünftiges Lebensmittelgeschäft zu finden.
Am südlichen Zipfels Ridgeways ist ein einsamer Family Dollar.
Das Logo kennt man. Aber wir waren noch nie in einer Family-Dollar-Filiale. Ein Versuch ist es wert!
Es scheint ein 1-Dollar Laden zu sein. Oder doch nicht? Das Angebot ist riesig.
Von Geburtstagskarte über Heckenschere bis zum Spielzeug. Alles da. Und alles ist tiefpreisig.
Frische Lebensmittel findet man hier nicht. Wir greifen zur absoluten Studenten-Notvariante:
Spaghetti und eine Dose Tomatensoße. Als wir an der Kasse stehen, sehe ich im Gefrierfach
Tiefkühl-Paddies. Nehmen wir auch!
Bis Naturita sind es noch 20 Meilen. Und irgendwo dort befindet sich auch unsere nächste Bleibe. Der Himmel sieht gruselig aus. Wieder einmal! Und ich will mir gar nicht vorstellen, was das für'n Urlaub werden soll, wenn am Nachmittag der Himmel immer in Weltuntergangsstimmung ist!
Die Straßenführung auf den letzten Meilen ist ein Traum:
Es geht geradeaus und die Kurven sind wie mit dem Zirkel gezogen und führen im 90 Grad Winkel
weiter. Das passiert jetzt mehrfach.
Das Ortseingangsschild von Naturita lässt mich aufatmen. Es ist Dreiviertel Fünf.
Wir sind gleich da!
Es ist ja nicht so, als ob ich unvorbereitet hierher kommen würde. Natürlich bin ich
mit dem gelben Männchen bei GoogleMaps schon die Straßen lang gelaufen. Konnte
aber nicht die eigentliche Stadt ausmachen. Das wird wohl daran liegen, dass
Naturita nicht einmal den 500. Platz der "Ich möchte dahin"-Liste erreicht.
Nein. Wenn jemand vom Ende der Welt spricht, dann kann er nur Naturita gemeint haben.
Jetzt kommt aber das große Aber!
Der Ort ist aufgeräumt, sauber und die Rasenkanten mit Nagelschere geschnitten.
Im Vorbeifahren halten wir natürlich Ausschau nach einem Grocery Shop. Und gucke da.
Der hat sogar bis 20Uhr offen.
Was will man mehr.
Naturita ist schon jetzt mein Star der Reise.
Wer kennt es nicht? Man sucht eine Bleibe, schaut mehrere Hotelanbieter an und findet nichts.
Weil da einfach weit und breit kein Hotel/Motel ist. Beziehungsweise eins,
in dem ich nicht übernachten will. Dann suche ich eben über GoogleMaps.
Neben dem Hotel in Gateway für 500,-USD die Nacht ist kein weiteres auf der CO-145 zu finden.
Maximal vergrößert suche ich die Gegend ab.
Da! Da ist ein Camp. Ein Glamping Camp.
Klingt gut. In solchen Glamping Zelten haben wir in Australien beste Erfahrungen gemacht
Die Website ist cool. Ganz nach meinem Geschmack. Für gut befunden und gebucht.
Aber wieso findet man das Camp nicht bei anderen Anbietern?
Vielleicht sind die Fotos manipuliert? Viel schöner dargestellt als es vor Ort ist?
Im Vorbeifahren schaue ich jeden größeren Platz an, auf den Lauben-ähnliche Häuser stehen. Schließlich stand in der Beschreibung,
dass das CampV einstige Bergarbeiterhütten sind. Diese natürlich modernisiert und aufgehübscht wurden.
Meine Bedenken werde ich nicht los. Ist das vielleicht das Camp???
Und jedes Mal wenn es dann doch nicht das CampV ist, bin ich erleichtert.
# CampV - V wie Vancorum
Die Zufahrt kann man nicht verfehlen.
Wir fahren, wie uns das Navi führt.
Und wie es in der letzten Mail geschrieben stand.
Die übereinander gestapelten Reifen und ein Schild weisen uns den Weg.
Es geht in die Ee 26 Rd - Was für ein Straßenname! Mit zwei Buchstaben am Anfang!
Es folgt eine langgezogene Kurve. Und viele lustige Schilder:
VLOVE IS REAL oder PLANET V.
Ich krieg's Grübeln. Sind wir auch das richtige Klientel?
Tataaa. Und das ist unser Bungalow Nr.15. Die Nummer des Bungalows und den Zugangscode haben wir schon per Mail letzte Woche zugesendet bekommen. Denn - so steht es in der Mail geschrieben - es gibt keine Rezeption. Hier ist am Nachmittag keiner.
Um ehrlich zu sein, bin ich mit meiner Wahl zufrieden.
Ach was! Ich mag, was ich sehe!
Ich rufe die Mail nochmals auf und tippe den Code ein.
Ich war schon in vielen Edel-Hotels dieser Welt. Aber hier fällt mir die Kinnlade runter.
Schon beim Eintreten in die Cabin wird man in wunderbare Fahrstuhlmusik eingelullt.
Das ist so unerwartet und überraschend, dass selbst, wenn eine Spinne übers Bett laufen sollte,
ich sie rausbitten würde ohne wie am Spieß zu schreien.
Tatsächlich gibt es hier halb-verhungerte Spinnen in den Ixeln zur Decke. Aber die
haben wohl eine Funktion. Oder?
Alles ist cool! Alles ist modern und chic. Und dennoch derb. Der Fußboden hat verschiedene Latten, denn es wurden nur die ausgetauscht, die vom ursprünglichen Bau nicht mehr verwertet werden konnten. Es gibt einen Plattenspieler. Mit einer herrlichen Auswahl für jeden Geschmack. Auch die Klimaanlage sieht doch nett aus. Oder? Wie ein Radio. Nur die schwarze Toilette mit einem schwarzen Sitz finde ich mittel-prächtig. Alles ist in Schwarz im Bad. Sieht echt hip aus. Aber nach drei Australienreisen frage ich mich, ob ich es erkennen würde, wenn da eine Schlange, ein beißender grüner Frosch oder ein Krokodil lebt 😳
Ok. Wir richten uns ein. Für ganze drei Nächte wird dies unser Domizil sein.
Der Kühli wir vollgeladen. Und die Elektronik zum Aufladen an die Steckdose geschlossen.
Die Welt ist in Ordnung mit einem Nespresso 😍
Das ist mein Slogan für den Abend. Es gibt Cappuccino aus einer Nespresso Maschine!
Na gut. Einen Milchaufschäumer gibt es hier nicht. Aber mit dem Wissen dass
Nespresso-Maschinen zur Ausstattung gehören, habe ich natürlich einen Hand-Milchaufschäumer
mitgebracht.
Wir machen es uns auf der Veranda gemütlich.
Cappuccino und dazu gibt es die ApplePies, die wir heute früh vom Lodgebesitzer geschenkt bekommen haben.
Oh mann. War das tatsächlich heute früh? Wir haben heute so viel erlebt, dass es mir vorkommt wie vor einigen Tagen!
Auch meine Pastrami-Stullen haben die lange Reise überlebt. Jetzt schmecken sie doppelt so gut!
Wir machen eine kleine Besichtigungsrunde.
Zuerst geht es die Allee entlang. Mit den Bäumen als Schattenspender könnten die
auch in einem gutbürgerlichen Städtchen sein. Eigenartig hier zu spazieren. Wir scheinen
die einzigen Gäste zu sein. Jedenfalls ist niemand zu sehen. Ob alle noch unterwegs sind?
Die Rezi. Die ist geschlossen. Klar.
Aber das, was man sieht, spricht für sich. Oder nicht?
Gegenüber ist eine Cabin mit rosaroten Plastik-Flamingos im Garten.
Wer bitte kommt auf solche coolen Ideen?
Im CampV kann man nicht nur Cabins anmieten sondern auch Zelte mit Glamping Niveau und Busse.
Die CampV Kirche gehört wohl zum meist fotografierten Objekt im Lager.
Sie hat keine Bedeutung. Es ist ein Kunstobjekt. Wie auch die übrigen (Schmuck)-Elemente.
Ich hatte es auf der Website gelesen, dass die zwei Eigentümerinnen Künstlern die Chance und
vor allem den Platz geben, ihre Werke auszustellen.
Das Camp liegt auf einer erhöhten Fläche.
Gegenüber, auf der anderen Seite der Straße, ist ein See. Der Hotepool sozusagen
Es ist kurz nach Sieben. Zeit um nach Naturita zu fahren, um Steaks und Bier zu kaufen. Vorher schauen wir uns im River Front Camp um. Das scheint auch zu der Anlage zu gehören. Und hier befindet sich auch der See. Alles, was wir sehen, gefällt uns. Es ist eine schöne Kombination aus Alt und Moderne. Ohne das auf den ersten Blick zu erkennen.
In Naturita fallen wir sofort auf.
Hier kenn jeder jeden. Und Touristen kann man an einer Hand abzählen.
Und noch mehr fallen wir auf, weil wir Ausländer sind.
Das Angebot im Grocery Store ist gut. Ich nehme einen Eisbergsalatkopf mit.
Geschätzte Schaden: 3.99USd + tax. Yäääh!
Aber Ribeye-Steaks gibt es nicht.
Aber Rainer will partout etwas kaufen. Also nimmt er die frischen Burger mit.
Dann geht es in den Liquore Store nebenan. Ein wirklich gut sortierter Laden.
Die Auswahl an Biersorten im Kühlraum ist enorm. Dass es in den USA über fünf Tausend
Brauereien geben soll, habe ich in einem deutschen Bericht gesehen. Aber dass es
nun in Naturita, am Ende der Welt, so viele Biersorten zu kaufen gibt, das haut mich um.
Rainer braucht ne Weile, um den Überblick zu bekommen. Ich schaue mich inzwischen im
Hauptraum um. Hier stehen die harten Getränke und Weine aus aller Welt. Und das Repertoire
an Weinen kann sich mit dem in unserem Berliner Metro messen. Tatsächlich finde ich
einen Neuseeländischen Sauvignon Blanc. Für 17,-USD kommt der mit.
Die Kassiererin ist jung. Schätzungsweise zwischen 20 und 25.
Noch bevor sie die Ware abkassiert, fragt sie, woher wir kommen? Und auf unsere Antwort fragt sie uns:
"Wieso kommt ihr aus Berlin nach Naturita.
Woher wisst ihr von der Existenz dieses Ortes?
Und warum kommt Ihr in diese entlegene Gegend, in der nichts los ist?"
Tja. Wir antworten ihr. Aber sie versteht es trotzdem nicht.
Unser Abendbrot fällt unter das Prädikat: leicht. Es gibt Salat und Rainer grillt sich die frischen Paddies.
Wir sitzen noch ne Weile draußen.
Es ist einfach nur herrlich hier.
Womit ich gar nicht gerechnet habe, ist eine Invasion von Mücken.
Beißende Biester, die mich lieben! Trotz der Temperaturen ziehe ich mir ein Fliesshirt und eine lange Hose an.
Aber wie sich herausstellt zu spät. Selbst vor meiner Kopfhaut haben sie keinen Halt gemacht!
Als es dunkel wird, leuchten die Lampen in der Kirche auf.
Sie sieht wunderschön aus.
Und als ob der Tag nicht schon genügend Highlights geboten hätte.
Einer geht noch.
Um Acht wird auf der Leinwand am Haupthaus "ET" abgespielt.
Und selbstverständlich gehen wir hin. Bänke, Stühle sind aufgestellt. Auf dem Boden
sind Decken ausgebreitet. Wir fragen uns: Woher die vielen Zuschauer kommen?
Wir finden noch zwei freie Campingstühle. Eigentlich wollen wir nur kurz schauen. Vor allem
ich will nur kurz bleiben, weil die Mücken mich nicht in Ruhe lassen. Ich schnappe mir eine Decke und
schütze mich so gut ich kann. Wir bleiben dann doch bis zum Ende.
ET bei Vollmond und unter freien Himmel zu sehen, ist ein Extra-Highlight, das
man nicht aller Tage hat.
Gefahrene Strecke: 196 Meilen = 315.5 Kilometer